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Welche Faktoren lassen eine kulturelle Großerzählung entstehen und wirkmächtig werden? Insbesondere die grandiose narrative Syntheseleistung, die Hegel mit seiner Geschichtsphilosophie gelingt, provoziert nach wie vor eine Antwort auf diese Frage. Und so ist es der große Epiker Hegel, der sich in das Gewand der philosophischen Systematik kleidet, den Albrecht Koschorke in den Mittelpunkt seiner Frankfurter Adorno-Vorlesungen stellt.
In Hinsicht auf den nach 1806 finanziell ruinierten, territorial zersplitterten und auch politisch-kulturell fragmentierten Agrarstaat Preußen, um den sich das System des späteren Hegel zentriert, hat seine philosophische Erzählung einen eher kontrafaktischen als beschreibenden Charakter. Überhaupt ist die Erzeugung schöpferischer Gebilde, die sich dann als politische selbstständig machen, ein generelles Merkmal der Ära der Nationalmythologien - wohingegen symbolische Integration durch Erzählen unter heutigen postnationalen Vorzeichen nur in weit geringerem Ausmaß gelingt.
Vor diesem Hintergrund geht es Koschorke nicht zuletzt um die Erzählbedingungen der europäischen Gegenwart. Er zeigt, warum es ein umschließendes, nach innen stark integrierendes Europa-Narrativ, wie es die Politik zumal in Zeiten der Eurokrise fordert, nicht gibt - und auch nicht geben sollte.
Albrecht Koschorke, geboren 1958, ist Professor für Neuere Deutsche Literatur und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Konstanz. Seit 2006 gehört er dem Konstanzer Exzellenzcluster »Kulturelle Grundlagen von Integration« an und ist seit 2010 Sprecher des Graduiertenkollegs »Das Reale in der Kultur der Moderne«. 2002 wurde er mit dem Akademiepreis der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2003 mit dem Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgezeichnet.