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London 1886. "Es war Spätnachmittag. Sonnenstreifen fielen durch ein kleines Fenster in einen Raum, der mit Klavierrahmen vollgestellt war. Edgar Drake, Klavierstimmer, Erard-Spezialist, legte den Brief auf seinen Schreibtisch. Ein 1840-Flügel ist schön, dachte er, und er faltete dem Brief behutsam zusammen und steckte ihn in seine Jackentasche. Und Birma ist weit weg."
In diesen wenigen Sätzen ist schon alles drin: das Behagliche, Vertraute, das Zögern, dann die Verführung, das lockende Fremde, die Weite. Gewohnheit und Aufbruch. Die Namen klingen exotisch, Birma oder Burma, Mandalay, Indochine, Mekong - und wecken Bilder von spitzen Tempeldächern im Nebel und weiten Reisfeldern. Reizvoller Sehnsuchtsort - aber eben auch ein heiß umkämpftes Gebiet, Schauplatz zahlreicher kriegerischer Auseinandersetzungen.
Edgar Drake, Klavierstimmer in London, erhält den Auftrag seitens der britischen Krone, vertreten durch das Kriegsministerium, im Dschungel von Birma den Erard-Flügel eines exzentrischen Militärarztes zu stimmen. Er willigt ein, und schon auf dem Weg nach Birma hört er abenteuerliche Geschichten über diesen charismatischen Militärarzt, der so eine wichtige Rolle in diesem Krieg spielt, daß er sich unentbehrlich gemacht hat und alles verlangen kann. Auch einen Flügel im Urwald und einen Klavierstimmer.
Es heißt, Dr. Anthony Carroll operiere und impfe die Birmanen, versuche aber zugleich, die marodierenden Warlords mit Musik und Poesie zu befrieden. Ein Rebell, den die Einheimischen lieben und die britische Krone braucht. Und Edgar? Er verliebt sich in eine schöne und gebildete Birmanin, gerät in den Bann des Arztes, verstrickt sich und findet nicht mehr hinaus aus der Schönheit der Shan-Hochebene.
Es ist also auch ein Entwicklungsroman, die Reise des Klavierstimmers nach Birma ist die Reise zu seinem eigenen verklemmten Ich - und weiter, denn es wird brenzlig!
Daniel Mason schildert nicht nur drastisch das Verhalten der britischen Kolonialherrschaft in Birma im 19. Jahrhundert, mit aller militärischen Borniertheit und Selbstüberschätzung - er läßt auch die Landschaften und Stimmungen dieses Landes vor dem Hörer entstehen, ein Land das seinen Reiz und seine Eigenwilligkeit ungeachtet aller Schrecknisse der Kriege nicht verliert.