Byongsu Kim, ein pensionierter Tierarzt, verbringt seine Zeit damit Klassiker zu lesen und Gedichte zu schreiben. Allerdings ist er nicht nur pensionierter Tierarzt, sondern auch „pensionierter“ Serienmörder. Die Morde sind inzwischen alle verjährt, der letzte ist mehr als 25 Jahre her.
Byongsu Kim wohnt mit seiner Tochter in einem beschaulichen Dorf, in dem nun erneut ein Serienmörder sein Unwesen treibt und junge Frauen tötet. Durch Zufall trifft Byongsu Kim auf einen Mann, bei dem er dieselbe Mordlust erkennt, die auch ihn damals antrieb. Sofort wird ihm klar, dass er seine Tochter schützen und folglich einen letzten Mord planen muss. Doch das ist gar nicht so einfach. Byongsu Kim leidet an einer beginnenden Demenz, in die er immer weiter hineintaumelt.
Tragisch-komisch schildert Young-Ha Kim, wie Byongsu Kim mit Notizen und Voicerecorder gegen die Vergesslichkeit ankämpft und es ihm doch nicht gelingt. Das passiert so geschickt und geht soweit, dass ich am Ende des Buches selbst nicht mehr wusste, ob nun Byongsu Kims Version der Geschichte oder doch die der ermittelnden Polizei stimmt.
Aus dem Koreanischen von Inwon Park.
zum Produkt € 20,00*
"Ich ahnte überall Glitches, das geht zurück auf meine Mutter.
Ein Misstrauen gegenüber dem Wirklichen, eine parawissenschaftliche Wachheit bezüglich der Instabilität. Ich wurde von Immersionen gemartert und meine eigene Existenz war eine entsetzliche Mühsal.
Deshalb rauchte ich so viel Marihuana. Es entspannte mich und gleichzeitig kam ich mir vor, als würde ich schlafwandeln. Das war erträglicher als meine innere Gefangenschaft, als das klarsichtige Ausgesetztsein in der Trap, umgeben von Außerirdischen und meiner Niedergeschlagenheit. Trotzdem kam ich nicht runter und war nervös und glaubte, mein Herz sei kurz davor, zu explodieren. Ich redete mit ihm und murmelte Beschwörungsformeln. Um meinen Hals hingen zwielichtige Amulette."
In diesem schmalen, atmosphärischen Roman lässt Joshua Groß die digitale und reale Welt ineinanderfließen, bis sie sich kaum noch voneinander trennen lassen. Dieser Prozess geht angenehm unaufgeregt voran und fühlt sich beim Lesen, vor allem für digital natives, fast natürlich an.
Seinen gleichnamigen Protagonisten hat der Autor in einem kleinen Appartement in Miami platziert. Versorgt wird dieser von der Rhoxus Foundation, die ihn via Drohne mit Bargeld und Astronautennahrung beliefert und ihm automatisch seinen sprechenden Kühlschrank füllt. Im Gegenzug wird er von ihnen überwacht.
In diesem Zustand der einsetzenden Paranoia und geistiger Umnachtung lernt er die Meeresbiologin Charlotte kennen und beginnt mit ihr eine fragwürdige Romanze. Sie begegnen sich sowohl in der echten(?) Welt, als auch in der digitalen Welt von Cloud Control, einem Computerspiel, das nach und nach einen größeren Stellenwert in Joshuas Leben einnimmt. Als Charlotte schwanger wird, lernt Joshua den überdrehten Rapper Jellyfish P kennen, der, neben ihm, als möglicher Vater des ungeborenen Kindes in Frage kommt.
Gemeinsam gehen die beiden Ungereimtheiten nach, die vermehrt in Cloud Control auftreten und verlieren sich in einem wabernden Zerrbild.
Die zurechnungsfähigste Figur in diesem Roman ist zweifelsfrei der Kühlschrank.
Ich mag's!
zum Produkt € 20,00*
Christoph Heubner, der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees hat unter dem Titel „Ich sehe Hunde, die an der Leine reißen“ drei Erzählungen veröffentlicht, die von dem handeln, was für uns so schwer fassbar ist - und was wir doch nie vergessen dürfen.
Gleich in der ersten Erzählung über die Auschwitz-Überlebende Ungarin Magda Bermann schlägt er die Brücke zu aktuellem Antisemitismus, als sie 2018 in Pittsburgh knapp dem Anschlag auf die dortige Synagoge entgeht.
Wie viele (ungelesene?) Berichte von Zeitzeug*innen und literarische Aufarbeitungen des Holocaust gibt es wohl in unseren Regalen? Das muss die erste Quelle sein. Diesen Geschichten sind wir verpflichtet.
Aber darüber hinaus müssen auch die Nachfolgenden ihren Weg finden, das Erinnern wach zu halten.
Christoph Heubner, der mit vielen Überlebenden des Nationalsozialismus gesprochen hat, ist das literarisch beeindruckend und respektvoll gelungen.
zum Produkt € 14,80*
„Was wir sind“ von Anna Hope (aus dem Englischen übersetzt von Eva Bonné) erzählt die Geschichte der Freundschaft zwischen Cate, Hannah und Lissa.
Es erzählt von den Möglichkeiten, die mit Anfang zwanzig noch unendlich scheinen, als die drei in einer Londoner WG leben und zieht sich über Kunst, Karriere und Kinder durch die Jahre der Entwicklung, der Erkenntnis und oft auch der Enttäuschung, wenn in den Vierzigern Weichen gestellt und Entscheidungen getroffen sind, die dieses Allesistnochmöglichgefühl langsam dämmernd oder schneidend schnell widerlegen.
Doch das, was stattdessen in den drei so unterschiedlichen Frauen gewachsen ist, deren Freundschaft zu keinem Moment als linear oder statisch beschrieben wird, habe ich lesend liebend gern beobachtet.
zum Produkt € 22,00*
„Ich habe die Fähigkeit, binnen weniger Minuten einem Menschen zu verfallen, aber nicht wegen dieser Schwäche, sondern aus grundsätzlicheren Bedenken hatte man mich zunächst nicht fahren lassen, mir diesen Job nicht anvertrauen wollen, für den man im Auto eine Augenbinde umgebunden bekam, weil niemand, auch nicht die Vereinten Nationen, wissen durfte, wo die Treffen stattfanden, wo die Rebellen sich aufhielten, wo die Strippenzieher zu Abend aßen. Solche Jobs waren meinen männlichen Kollegen vorbehalten, doch ich hatte nicht akzeptieren wollen, dass nur Männer die Heldengeschichten erzählen dürften, die nichts mit Heldentum zu tun hatten, nur mit der Fähigkeit, nicht gleich in Panik zu geraten, und von der Dialektik der Grausamkeit zu hören, mit Milizionären auf der Ladefläche eines Ford Ranger zu lachen, mit einem Mörder am Grill zu stehen ...“
Ich habe mit anfänglicher Skepsis (weil ich keine Freundin von Menasses „Hauptstadt“ war) „Schutzzone“ von Nora Bossong gelesen (in dem es zwar nicht um die EU und Brüssel, wohl aber um die UN und Genf geht) und bin diesem Buch binnen weniger Seiten verfallen.
So melancholisch, so sprachgewandt, so rätselhaft, so vielschichtig beschreibt Nora Bossong durch die Stimme ihrer Protagonistin Mira die große, unfassbare Weltpolitik und die große, noch schwerer zu fassende Liebe.
zum Produkt € 24,00*
Was für eine Geschichte!
Ich bin bisher nie so richtig mit Yoko Ogawas Büchern warm geworden, aber ich bin froh, dass ich „Augenblicke in Bernstein“ eine Chance gegeben habe! Es ist sehr schwierig, über diese eigentlich simple Geschichte zu sprechen, ohne etwas zu verraten, das man eigentlich selbst kaum verstanden hat. Ogawa erzählt von drei Geschwisterkindern, die von ihrer Mutter auf einem von hohen Mauern umgebenen Grundstück verborgen werden. Ja, verborgen! Sie sind nicht eingesperrt, die Tore sind nicht verschlossen. Doch die drei befolgen die Regeln der ängstlichen Mutter, die als einzige, arbeitend, das Grundstück täglich verlässt und sich der gefährlichen Welt stellt. Die Kinder vergessen ihre Namen und nehmen neue an. Sich nur noch hauchend und wispernd unterhaltend, schaffen sie einen eigenen kleinen stillen Mikrokosmos, spinnen Welten aus Fantasie, lernen aus Enzyklopädien, die ihnen der Vater, der nie Teil dieser Familie war, hinterließ. Innerhalb der Mauern genießen sie allein unter sich, viele Freiheiten. Sie spielen, tanzen und erzählen sich Geschichten, rücken dicht zusammen, aus Angst vor dem bösen Hund, der da draußen lauert...
Der Text ist vielschichtig, surreal und märchenhaft. Aber bald macht sich bei den Lesenden ein mulmiges Gefühl breit, erst subtil, dann immer schwerer, die Idylle bekommt mit Fortschreiten der Zeit Risse. Die unschuldigen, fantastischen Metaphern, die Fantasiegespinste der Kinder scheinen unschöne Dinge zu verpacken… Haruki Murakamis Texte erscheinen gegen diese surreale Geschichte, die auf vielen Wirklichkeitsbenen abläuft, wie trockene, faktenreiche Sachbücher! Ein Buch, das zum Zurückblättern, Träumen und Staunen einlädt und noch lange im Kopf nachklingt!
Aus dem Japanischen übersetzt von Sabine Mangold.
zum Produkt € 22,00*
Wer sich feministisch engagiert, gilt schnell als Spaßbremse, Spielverderber*in, als wütend und unglücklich. Sara Ahmed erklärt fundiert und dennoch verständlich, wie unsere Gesellschaft die Figur der "feminist killjoy", fürchtet, sie ausgrenzt, sie aber auch emotional erschöpft. Gleichzeitig gibt Ahmed wichtige Anregungen zur Selbstfürsorge, zum Neu- und Weiterdenken in Sachen Intersektionalität und gibt vielen ausgrenzenden Vorgängen und Machtapparaten einen Namen.
Das Buch ist eine großartige und wichtige Anleitung für alle, die sich in ihrem feministischen Engagement bestärken und gleichzeitig verstehen wollen, auf welche Weise strukturelle Unterdrückung wirkt.
Für alle, die durch Passmann und Stokowski ihren Themeneinstieg fanden und jetzt einige große Schritte weitergehen möchten!
zum Produkt € 19,80*
„Der große Anton Lobmeier raucht eigentlich nur noch aus einem Grund. Er raucht, damit er weiß, was er als nächstes tut.“ Und solche Momente gibt es in seinem Leben gerade einige. Seine Freundin hat ihn verlassen, seine Mutter stirbt und dann verschwindet auch noch seine beste Freundin. Als noch allerhand andere Dinge schief gehen, beschließt Anton Lobmeier kurzerhand aus dem Scheitern eine Kunst zu machen, kündigt seinen guten Job und hält sich als Pizzalieferant über Wasser.
Während des Lesens habe ich darauf gewartet, dass mich dieses Buch anfängt zu nerven. Das passierte aber nicht. Stattdessen musste ich immer weiterlesen.
In diesem Roman zeigt Benedikt Feiten mit viel Witz, Ironie, einer unglaublichen Situationskomik und auch sehr traurigen und melancholischen Stellen, dass das Leben schon irgendwie weitergeht. So oder so.
zum Produkt € 20,00*
So schnell wie "Ich bin Özlem" habe ich schon lange kein Buch mehr durchgelesen! Am liebsten würde ich es gleich nochmal von vorn anfangen, darüber reden, meine Gedanken sortieren, nochmal neue Eindrücke auflesen, Einschätzungen anderer hören...
Dilek Güngör erzählt die Geschichte einer sympathischen 39 jährigen Frau, Lehrerin, Mutter, Freundin, die aufgrund einer „Herkunft“, die sie selbst noch immer zu bestimmen versucht, ein permanentes Gefühl von „nicht genug“ empfindet. Özlem beschreibt eine dumpfe Ohnmacht, Wut und Beklemmung, ausgelöst durch das Unverständnis der biodeutschen Protagonist*innen in dieser Geschichte. Langjährige Freundschaften, in denen doch eine unbeschreibliche Kluft herrscht, ausgelöst durch Unsicherheiten, klischeebehafteten, unsensiblen Formulierungen und der eigenen verkrampften Suche nach einer Identität zwischen der schwäbischen Kleinstadt, Berlin und einem kleinen Dorf in der Türkei.
Ich bin so froh, dass mich schon die ersten Sätze gleich zum Mitessen einluden, mir ein warmes, vertrautes Gefühl im Herzen machten. Wie gerne hätte ich noch weitere 200 Seiten von Özlems suchenden, klugen Gedanken und Beobachtungen gelesen. Wie sie versucht, den Kern, die wahre, richtige Antwort auf die Frage nach Zugehörigkeit zu finden... Ein Buch, das sich wie Zuhause anfühlt.
zum Produkt € 19,00*
Dieses Buch ist düster und wütend und hart und rasant ... und sehr gut.
In ungefähr dieser Reihenfolge.
Benannt nach Grime, einer dem Rap verwandten Musikrichtung, die ich in meinem ganzen Leben noch nie gehört habe, vermittelt mir Sibylle Berg durch die Verwendung aggressiver Zeilenumbrüche und äußerst dezidierter Wortwahl trotzdem ein fast ohrenbetäubendes Gefühl dafür.
Doch dieses Buch mehr als ein körperlich wirkender Übergriff.
Es ist die schonungslose Abrechnung mit unserer idiotischen Leichtgläubigkeit, mit den Folgen der Digitalisierung, die wir auf der Suche nach Likes & Clicks nur allzu schnell ignorieren und vor allem ist es ein Buch über den ewig scheinenden Krieg der Reichen gegen die Armen.
Don, Hannah, Karen und Peter sind eher eine Schicksalsgemeinschaft als Freunde. Gemeinsam versuchen sie im England nach dem Brexit zu überleben. Sie sind die Vergessenen einer schonungslosen Gesellschaft, ausgebeutet und missbraucht.
Von Rochdale im Norden Englands machen sie sich auf den Weg nach London, wo sie unter dem Radar des überwachungskapitalistischen Systems einen Rachefeldzug planen.
Zu hoffen, dass in diesem Buch Gerechtigkeit stattfinden könnte, ist genauso naiv, wie sich in dem Glauben wiegen zu wollen, dass es sich bei "GRM. Brainfuck" (und nie passte ein Untertitel besser) um eine Dystopie handelt.
Sibylle Berg schwebt als spöttische Göttin über dem Wasser.
Sie benennt das Chaos. Sie hat weder Erbarmen mit ihren ProtagonistInnen, noch mit ihren LeserInnen. Doch zwischen all der Bitterkeit und der Brutalität schimmert ihre Menschenliebe so sehr durch, dass es weh tut.
zum Produkt € 25,00*